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Dieter Lanz - Das tektonische Beben

Dieter LanzDas tektonische Beben, das 1989/90 den gesamten osteuropäischen Raum von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erschütterte, hat die gesamten kommunistischen Staaten wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Wann dieser Prozess zu Ende ist, ist noch nicht abzusehen. Die Mauer fiel, und man hat dieses Ereignis als das Ende der Nachkriegszeit bezeichnet.

Aber dies ist nicht nur das Ende einer Epoche, die wir Mittelalter nennen, und die in den Geschichtsbüchern angeführten Begriffe "neuere Zeit" und "neueste Zeit" sind im Grunde auslaufende Perioden des Mittelalters. Die Strukturen eines neuen Zeitalters beginnen sich langsam deutlicher abzuzeichnen.

Als letztes Land ist von der Welle dieses Bebens im August 1991 auch die Sowjetunion erfasst worden. Am 24. August legte Gorbatschow sein Amt als Generalsekretär der kommunistischen Partei nieder und löste das Zentralkomitee auf. Die marxistischen Götter wurden von ihren Sockeln gestoßen.

Im Frühjahr 1991 wurde in München eine Marc-Chagall-Ausstellung gezeigt. Man konnte dort ein Bild sehen, "die Revolution", das der Maler 1937 gemalt hatte. Es zeigt auf der linken Seite eine dichtgedrängte Menschenmasse unter den roten Fahnen des Marxismus. In der Mitte macht ein Mann auf einem Arm einen Handstand und hält zwischen seinen Beinen die russische Fahne mit den Farben weiß, blau, rot. Mit einer freien Hand zeigt er auf eine rote kommunistische Fahne, die in der rechten Bildhälfte im Staub liegt. Ein Bild von eindringlicher Aussagekraft. Die Vision dieses Bildes wurde in diesen Tagen in die Wirklichkeit umgesetzt.

Wo ist das Epizentrum dieses Bebens? Wo kommt der Schub her, der den Marxismus zusammenbrechen läßt? Außenminister Genscher schrieb damals, im Oktober 1990, in der Tageszeitung "Die Welt" einen Artikel über Gorbatschow und bezeichnete ihn als den Baumeister Europas. Er ist es nicht. Und er ist es mit Sicherheit nicht. Gorbatschow war immer noch überzeugter Marxist und der Marxismus ist weder von seiner wirtschaftlichen noch von seiner weltanschaulichen Position aus in der Lage, diesen Aufbau leisten zu können. Gorbatschow ist wohl der, um in diesem Bild vom tektonischen Beben zu bleiben, der die Wiederlager und Bremsklötze beseitigt und damit natürlich der Schubkraft den Weg freigemacht hat.

Aber wo ist denn das Zentrum, das diese Dynamik ausgelöst hat? Als 1978 der Pole Wojtyla zum Papst gewählt wurde – Papst Johannes Paul II. – rief der damalige polnische kommunistische Parteichef Gierek in Anlehnung an das Wort "habemus papam" ahnungsvoll aus:

"Habemus klapam = jetzt haben wir das Ende!" Vielleicht ahnte er unbewußt, daß noch andere Faktoren als die rein politischen, wirtschaftlichen und finanziellen das Geschehen der Welt bestimmen. Am 30. März 1990 erschien in der Tageszeitung "Die Welt" ein Artikel mit der Überschrift "Deutsch-französische Freundschaft bleibt Kern für Europas Entwicklung". Bundeskanzler Kohl hat bei der 1. Sitzung des Parlaments im alten Reichstagsgebäude in Berlin das Gleiche ausgesprochen.

Und genau in diesen Wochen, da sich der Umbruch in Osteuropa vollzog, benannte der Rat des Stadtteils Suresnes in Paris den Platz auf den Mont Valèrien vor dem großen Mahnmal des "Mèmorial de la France commbattante", dem Denkmal der Rèsistance, des Widerstandes gegen die deutsche Besatzungsmacht, nach einem Deutschen, nach Abbé Franz Stock. Hier auf dem Mont Valèrien waren von 1940-44 mehr als 4500 Widerstandskämpfer und Geiseln erschossen worden, von denen Abbé Stock mehr als 2000 zum Pfahl begleitete. Zufall? Vielleicht! Aber ich persönlich glaube, daß hier unterirdische Strömungen sichtbar werden, Ursächlichkeiten und ihre Folgeerscheinungen, die das Geschehen der deutsch-französischen Aussöhnung und damit ein Aufbau der europäischen Einigung entscheidend beeinflußt haben. Diese Namensgebung "Place Abbé Franz Stock" auf dem mont Valèrien ist das Siegel unter die deutsch-französischen Aussöhnung und Freundschaft.

Und damit kommen wir zum Kern des Problems der Frage "Wo liegt das Epizentrum der Erschütterung, die heute die kommunistischen Staaten zusammenbrechen läßt?"

Sie werden sich erinnern, daß 1988 das 25-jährige Bestehen der deutsch-französischen Freundschaft gefeiert wurde, mit großen Festlichkeiten am Invalidendom. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß am 30. Juli 1949 hier an der gleichen Stelle, im Invalidendom, Abbé Franz Stock zum ersten mal geehrt wurde. Er ist bisher der einzige Deutsche, dem diese Ehre widerfahren ist. 1988 ist auch das Jahr des 33. Kongresses der deutsch-französischen Gesellschaften in Neheim, wo an das 25-jährige Jubiläum erinnert wurde, und auf dem Kanonikus Pierre Andrè aus Chartres mit dem Elise-Kühn-Leitz-Preis ausgezeichnet wurde.

Das entscheidende Datum ist der 14. Juni 1963, als die französische Nationalversammlung den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag billigte, den Adenauer und de Gaulle am 22. Januar 1963 unterzeichnet hatten. Man hat oft vom Wunder der deutsch-französischen Aussöhnung gesprochen. Hier liegen die Wurzeln dieses Wunders. In den gleichen Tagen des Juni wurden die sterblichen Überreste des Abbé Stock vom Friedhof Thias in Paris nach Chartres überführt, um in der neu erbauten Kirche St. Jean Baptiste beigesetzt zu werden. (Die Exhumierung war am 13.06., die Feierlichkeiten in Chatres am 15./16.06., die Billigung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages durch die Nationalversammlung am 14.06.). der damalige französische Minister Edmond Michelt sagte in seiner Ansprache: -Quelle èmouvante coincidence!- "Welch ergreifendes zusammentreffen! Niemand kann achtlos vorbeigehen an der Tatsache, daß Gott es so gefügt hat, daß diese deutsch-französische Begegnung nur wenige Tage nach der Verabschiedung des Versöhnungsvertrages durch das französische Parlament stattfindet."

Bei den Feierlichkeiten wurden, soweit ich weiß, zum ersten mal beide Nationalhymnen zusammen abgespielt, und der Platz vor der Kirche war mit den französischen und deutschen Fahnen geschmückt. Ich vergesse nicht die Worte einer Ärztin aus dem kleinen Ort Allhagen bei Soest, die neben mir stand und sagte: "dies ist eine Geschichtliche Stunde." Und der Päpstliche Segen aus dem Vatikan trug die Namenszüge eines Toten – wie ein Vermächtnis. Papst Johannes XXIII. Hatte auf dem Sterbebett das Telegramm für diese Feierstunde unterzeichnet.

So ruht Abbé Stock nun seitdem in Chartres, im Lichte der Kathedrale, die Peguy die Akropolis Frankreichs genannt hatte. Noch zu Stocks Lebzeiten hatte Gertrud von Le Fort ihm ihr Gedicht "Die Kathedrale nach der Schlacht" mit einem persönlichen Gruß zugeeignet. Er ruht an dem Ort, wo von 1945-47 sich das Kriegsgefangenenseminar hinter Stacheldraht befand, dieses einzigartige Seminar in der Geschichte der Kirche, das er als Regens geleitet hatte. Als Abbé Le Meur und Abbé Rodhain 1945 daran gingen, dieses Seminar zu gründen, und Abbé Stock baten, es zu leiten, schrieb Abbé Le Meur an Stock, als er dessen Zusage erhalten hatte: "Ich bin überzeugt, daß das Werk, welches wir unternehmen, einen großen rückhaltenden Einfluß auf die gegenseitige Verständigung unserer beiden Länder und das Ausstrahlen unser geliebten Kirche wird." Und bei einem seiner Besuche im Seminar sagte Nuntius Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII.: "Das Seminar von Chartres gereicht wohl Frankreich wie Deutschland zum Ruhme. Es ist sehr wohl geeignet, zum Zeichen der Verständigung und Versöhnung zu werden." Und er wandte sich außerdem an die Seminaristen: "hier haben sie das Walten der Vorsehung erfahren. Jeder von uns steht unter der Vorsehung. Christus gestern, heute und in Ewigkeit. Frieden, Freiheit und Liebe – sie werden der Triumph unseres Herrn Jesus Christus sein." Regens Stock richtete an uns Seminaristen kurz vor der Auflösung des Seminars eine Botschaft, die der französische Prediger Père Jean Pihan am 20. Todestage Stocks eine prophetische Botschaft nannte: "… Eine Zahl von der Vorsehung gewollter Heiliger wird genügen, unsere Epoche zu retten. Es ist die Vorsehung, die uns diesen Aufruf zur Heiligkeit entgegenschleudert durch die Stimme der Geschichte, und wir müssen ihn hören, um der Welt die Botschaft von Freiheit und Frieden, Heil und Liebe zu bringen…." Reinhold Schneider widmete sein Sonett "Abschied von Chartres" den Seminaristen: "In starkem Herzen tragt die Kathedrale, die Ihr am Himmel schwerer Zeit geschaut." Und dann weiter: "Glückselig, wer nach solchem Bild sich baut. Der heilige Raum, dem alle anvertraut, erwählte Euch zum ragenden Portale."

Reinhold Schneider hat bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1956 in seiner Dankrede nochmals ausgedrückt: "Alle Katastrophen der Geschichte haben sich in Geistigen und Sittlichen ereignet, ehe sie sich in materiellen Machtkämpfen dargestellt haben. Sie sind angewiesen auf ein bestimmtes Klima des Denkens, Glaubens; um dieses Klima geht es in dieser Stunde unheimlichen Waffenstillstandes."

Diesen Geist gilt es weiterzutragen. Nuntius Roncalli hatte bei der Beisetzung, als Abbé Stock die absolutio ad tumbam spendete, gesagt: "Abbé Franz Stock, das ist kein Name – das ist ein Programm", und 14 Jahre später 1962 vor einer internationalen Pilgergruppe in Rom als Papst Johannes XXIII. Diese Worte wiederholt.

Der frühere Bischof von Chartres, Msgr. Perrier, sah sich in der Linie dieser Gedanken. Bei seiner Weihe zum Weihbischof von Chartres am 16. September 1990 sprach er aus: "Chartres, das Wunder der Künste, das Wunder der Göttlichen Kunst, welche die Gnade ist. Chartres und seine Kathedrale, hohe Stätte des Glaubens, ewig junge Quelle, immer verfügbar für die Verkündigung des Evangeliums, in dem zukünftigen Europa." Charles de Gaulle hatte 1962 betont: "die feste Basis deutsch-französischer Zusammenarbeit beruht – über politische Möglichkeiten hinaus – auf dem gemeinsamen antik-humanistischen Erbe der Menschenwerte und Menschenwürde."

Und Pierre Pfimlin, ehemaliger Bürgermeister von Straßburg, Minister und Präsident des europäischen Parlaments in Straßburg antwortete bei der Benennung des Platzes "Place Abbé Franz Stock" in Suresnes: " Wenn ich mich entschieden habe, zu dieser Feierstunde zu kommen, dann darum, weil Abbé Stock etwas fast Unglaubliches verwirklicht hat, etwas, was beispielhaft bleibt. In der Stunde, wo wir Europa bauen, ist sein Andenken mehr denn je gegenwärtig. Aber heute, zu dem Zeitpunkt, wo alle diesen Veränderungen sich ereignen – die ich anfangs erwähnt hatte – müssen Frankreich und Deutschland diese Verwirklichung fortsetzen und müssen ihre Bande festigen.

Und so bestätigen sich diese Worte des Kanonikus Pierre Andrè von Chartres 1990 verstorben, die er wiederholt ausgesprochen hat: "Der Mont Valerien und das Seminar von Chartres sind die Fundamente der deutsch-französischen Aussöhnung und Freundschaft. Und damit sind sie auch die Fundamente für den Aufbau Europas. So hat das deutsch-französische Verhältnis Modellcharakter."

 

Ich möchte schließen mit einer Aussage von Yvonne Beauvais, Oberin des Augustinerinnenklosters in Malestroit in der Bretagne. Sie hatte am 22. Oktober 1922 in einem Traumbild mit symbolischen Zahlen und Bildern den 2. Weltkrieg vorausgesehen: "Dann kam eine Zeit, die ich nicht zu enträtseln vermochte. Nach alledem sah ich ein leuchtendes und die Welt befriedigendes Frankreich."

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